Ausgerüstet mit Stock, Notizbuch und Kamera, wandert der Luzerner Guido Stefani regelmässig auf den Baarer Hausberg. 2395 Mal hat er die Route schon absolviert – und dabei seine Spuren hinterlassen.
Zentralschweiz am Sonntag, Rahel Hug, 5. Mai 2019
Auf den ersten Blick kaum sichtbar, an einem Pfosten des einfachen Holzunterstands mitten auf dem BaarburgPlateau, befindet sich das beeindruckende Protokoll: 2395 klitzekleine Bleistiftstriche. Sie zeigen die schier unglaubliche Anzahl Wanderungen, die Guido Stefani schon hierher unternommen hat. Seit 1986 besucht er den Baarer Hausberg regelmässig – und hinterlässt seine Spuren in der Natur. Seine Beobachtungen dokumentiert er seit sieben Jahren auf einer eigenen Homepage (siehe Hinweis).
Was zieht den gross gewachsenen Mann mit dem krausen grauen Haar immer wieder auf die Baarburg? Was motiviert den 71-Jährigen, bis zu zweimal pro Woche ins Auto zu steigen – Stefani wohnt in der Stadt Luzern –und den Weg in den Kanton Zug auf sich zu nehmen, um anschliessend rund 3 Stunden auf dem 683 Meter hohen Hügel zu verbringen? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten. Doch wer mit Guido Stefani einen Spaziergang zu seinem persönlichen Kraftort unternimmt, kommt der Sache immerhin näher.
Nach dem ersten steilen Aufstieg durch Gehölz und raschelndes Laub sieht man es in nordöstlicher Richtung: das alte Bauernhaus im Weiler Hirzwangen, der zum Ort Ebertswil gehört. Hier hat Guido Stefani längere Zeit gewohnt – und Gefallen an der Baarburg gefunden. «Man hat eine prächtige Aussicht auf den Berg», erzählt er. Nach dem ersten Spaziergang kam er immer wieder zurück und begann bald, seine Ausflüge zu zählen. Fasziniert ist der frühere Journalist und ehemalige Protokollführer des Zuger Kantonsrats auch von der Geschichte der Hügelkuppe. Um 500 vor Christus befand sich hier nämlich eine keltische Siedlung. «Diese grosse historische Bedeutung, kombiniert mit dem Umstand, dass die Baarburg heute eigentlich ein ‹Nichtort› ist, an dem es gar keine Burg oder sonst ein Wahrzeichen gibt, hat es mir angetan», sagt Stefani.
Wenn Spuren plötzlich sichtbar werden
Gleichzeitig mag der zurückhaltende Mann, der stets seinen Spazierstock, Notizbuch und Kamera mit dabei hat, Veränderungen. Zum Beispiel, wie eine Eibe jedes Jahr ein paar Zentimeter höher aus einem felsigen Untergrund wächst. Oder wie seine Spuren auf dem Waldboden, wenn er regelmässig im Kreis um einen bestimmten Baum herumgeht, plötzlich sichtbar werden.
Wer es nicht weiss, sieht die meisten wohl gar nicht: die vielen kleinen und grossen «Strukturen», die Guido Stefani auf seinen Touren hinterlässt. Da findet sich ein kleiner Stapel aus feinen Zweigen, dort ein viereckiges Mäuerchen aus grösseren Ästen. Und bald entdeckt man den von Stefani liebevoll «Iglu» genannten Haufen, an dem er seit etwa 30 Jahren «arbeitet». Das heisst, ihn mit kleinen Stäbchen, Schneckenhäusern und Steinen bestückt. «Bei gewissen Strukturen rechne ich damit, dass sie entweder wegen des Wetters oder durch Menschenhand wieder verschwinden. Aber beim Iglu wäre ich schon traurig, wenn es plötzlich nicht mehr da wäre.»
Nicht nur seine eigenen Spuren interessieren den treuen Baarburg-Wanderer. Bei einem Erdloch macht er Halt und berichtet, dass er hier schon eine ganze Fuchsfamilie beobachtet habe. Auch die Tritte eines DachsesimSchnee hat Stefani verfolgt und einmal sogar Hirsche aus nächster Nähe gesehen. Auch was die Menschen hier hinterlassen, möchte er erfassen. Seien es die Einträge im Logbuch in der GeocacheBox (bei Geocaching handelt es sich um eine Art GPS-Schnitzeljagd), die in einer kleinen Höhle unter Laub versteckt begraben liegt, Abfälle oder die ins Holz eingeritzten Sprüche im Unterstand. Dazu kommen die Farben, Geräusche und Gerüche der Natur. «Der Frühling ist die schönste Zeit des Jahres», sagt er, während ihm der Föhn um die Ohren weht. «Das Grün der Buchen ist zurzeit richtig intensiv.»
Das scheinbar Simple gibt Guido Stefani viel. Auf seinen Touren kann er zur Ruhe kommen. Er nutzt die Zeit auch zum Meditieren. Manchmal übernachtet er unter freiem Himmel auf dem Plateau. Die Wanderungen auf die Baarburg sind für ihn zum Ritual geworden. Draussen zu sein, tut ihm gut und hält ihn fit. Dass er möchte, dass seine Asche dereinst hier im Wald verstreut wird, versteht sich fast von selbst.
Als die Korporation BaarDorf, die Besitzerin des Gebietes, vor einiger Zeit einen alten Baum stark stutzte, schrieb Stefani einen Protestbrief. Doch meistens lässt er Aktionen wie diese bleiben: «Ich exponiere mich nicht gerne.» Dennoch stimmen ihn die Eingriffe der Förster zum Teil melancholisch. «Hier befand sich früher dichter Wald», erklärt er mit Blick auf eine grössere Lichtung. «Ich hoffe, dass wenigstens die Waldränder intakt bleiben.»
«Bei gewissen Strukturen rechne ich damit, dass sie verschwinden. Aber beim Iglu wäre ich schon traurig.»
Seine Frau war schon 390 Mal mit dabei
Wer nun denkt, die Baarburg sei die einzige Leidenschaft von Guido Stefani, liegt falsch. Der kunstinteressierte Literaturwissenschafter mag Musik. Und er liebt es, zu tanzen, ganz besonders zu DrumandBassKlängen. Gemeinsam mit seiner Frau unternimmt er viele Wanderungen und Reisen. Immer wieder begleitet sie Stefani auch auf seinen Rundgänge. Am meisten gefällt es ihr, wenn sie Pilze sammeln kann. Genau genommen war sie schon 390 Mal mit dabei. Auch diese Zahl ist natürlich fein säuberlich im Unterstand verewigt.